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Glosse: Aleatorik und Google-News

Automatisierung war schon immer ein Schlagwort, vor allem in der Industrie. Hohe Produktionszahlen werden ermöglicht, aber das eigentliche Handwerk wird dadurch in den Hintergrund gedrängt. Daß Nachrichtenüberblicke automatisch zusammengestellt werden, scheint mir bezeichnend für die gegenwärtige Krise des Print-Journalismus zu sein. Folgende zwei Überschriften fand ich bei Google-News in einer Spalte direkt aufeinanderfolgend:

In welcher Verbindung stehen beide Nachrichten? Bedingt die erste die zweite? Ist das persönlich an mich gerichtet, also eine aus meinem Google-Suchverhalten generierte, indirekte Aufforderung, meine Bewerbungsunterlagen unverzüglich der Bundesversammlung zu übersenden?

Versteckte Botschaft hin oder her, allein das dort enthaltene Fingerspitzengefühl für Satire ist beeindruckend. Aktueller denn je wird das politische Geschehen aufs Korn genommen und jeder muß merken, es handelt sich um eine einmalige Zusammenstellung von Nachrichten, die nur einen flüchtigen Moment in dieser Form abrufbar ist. Sie verschwindet bald wieder. Ich stelle daher unumstößlich für dieses Werk fest:

Zufall und Flüchtigkeit sind hier vollends miteinander verbunden. Ein Meilenstein aleatorischer Kunst!

Ich begründe: Zwei im Internet gefundene Phrasen werden völlig entkontextualisiert und bilden einen neuen Sinn. Man ist beeindruckt, ja geradezu sprachlos darüber, wie ein Computer, eine simple Rechenmaschine mit ihren geistigen Möglichkeiten, die nicht über 0 und 1 hinausgehen, Nachrichten sortiert, interpretiert und unterschwellig Botschaften verteilt, manipulativ wirkt. Das Wesen moderner Kunst als Message an die Welt wird zum Prinzip erhoben.

Aber halt, genug! Ich fürchte bereits den Zorn des Urheberrechts: Ohne Genehmigung des Urhebers, dem allsehenden Auge Googles, dem Google-Nachrichten-Bot, darf ich dieses Kunstwerk nicht auf meiner Seite öffentlich zugänglich machen (vgl. §19a UrhG), oder?

Die erforderliche Schöpfungshöhe wäre meiner Meinung für ein solch bedeutendes Kunstwerk eindeutig gegeben. Allerdings könnte ich mit der Zitatfreiheit des §51 UrhG argumentieren. Mindestens §51 Nr. 2 könnte m.E. in diesem Fall einschlägig sein. Oder habe ich mit diesem Artikel bereits ein selbständiges neues Werk in freier Benutzung des vorbestehenden Werkes von Google erschaffen (vgl. §24 UrhG), oder…
Nein! Es fällt mir wieder ein: Urheber ist der Schöpfer des Werkes (§7 UrhG), also eine natürliche Person. Ein Computer kann doch nicht schöpferisch tätig sein? Aber wie sieht es mit dem Element des Zufalls aus? Vielleicht ist der Algorithmus so entwickelt, daß es sich nicht um völlig zufällige Ergebnisse auf der Google-News Seite handelt. Dann wäre der Urheber des Werkes also eine natürliche Person, nämlich der Programmierer des Algorithmus? Das genügt! Nichts als offene Fragen und ein abschließendes Urteil möchte ich nicht fällen…

Und wenn Google selbst doch eine künstliche Intelligenz ist: ein in den Weiten des Internet lebender Organismus, der sich von “Content” jeglicher Art ernährt, gerade auf der Suche nach seinem eigenen künstlerischen Ausdruck ist und sozusagen in einer informationstechnologischen Selbstfindungsphase steckt? Dann müsste der Schöpfergedanke des Urheberrechts neu definiert werden.