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Der European Copyright Code und die freie Benutzung

Von einem Zusammenschluß verschiedener Rechtswissenschaftler, dem Wittem Project, ist in englischer Sprache ein European Copyright Code veröffentlicht worden, der als Leitfaden für eine Harmonisierung des Urheberrechts in der Europäischen Union dienen soll.

Der „European Copyright Code“ ist in 5 Kapitel gegliedert: das erste definiert, welche Werke urheberrechtlich geschützt sein sollen, das zweite geht auf die Frage ein, wer der Autor eines Werkes ist und welche Rechte ihm im allgemeinen zustehen. Kapitel 3 behandelt die Urheberpersönlichkeitsrechte und Kapitel 4 die Verwertungsrechte. Schlußendlich werden in Kapitel 5 Schranken des Urheberrechts („Limitations”) definiert.

Nun, es handelt sich hier offensichtlich um einen recht kurzen Entwurf; daher werden bestimmte Spezialregelungen des Urheberrechts, wie das Folgerecht, ausgeklammert. Allerdings eine Sache verwundert vor dem Hintergrund, daß in der Präambel festgelegt:

„[…] copyright legislation should achieve an optimal balance between protecting the interests of authors and right holders in their works and securing the freedom to access, build upon and use these works […]“1.

Es fehlt nämlich eine grundsätzliche Aussage, welche Formen der künstlerischen Auseinandersetzung mit geschützten Werken ohne Genehmigung des Urhebers zulässig sein sollen. Im gegenwärtigen deutschen Urheberrecht ist dies im engen Rahmen der der freien Benutzung eines Werkes (§24 UrhG) möglich. Zwar wird in einer Fußnote zum Art. 1.1 Abs. 1 des European Copyright Code darauf hingewiesen, daß eine Bearbeitung ein eigenständiges Werk sein kann („An adaption of a work may qualifiy as a work itself“)2, doch nur dem Urheber steht gem. Art. 4.1 Abs.1 i.V.m. Art. 4.6 das alleinige Recht der Bearbeitung seines Werkes zu.

Die Schranken in den Art.5.1ff., die ein Recht zur freien Benutzung einräumen könnten, sind enumerativ, d.h. abschließend. Daran ändert auch nicht die Tatsache, daß in den Art. 5.2 und 5.3 sowohl „uses for the purpose of freedom of expression and information“ als auch „uses permitted to promote social, political and cultural objectives“ erlaubt sein sollen, denn darunter fallen ausschließlich die dort ausdrücklich genannten Nutzungsarten, wie beispielsweise das Zitat in Art. 5.2 Abs.1 lit. d. Eine Ausnahme, diese eigentlich abschließenden Schrankenbestimmungen dennoch durch analoge Rechtsauslegung zu erweitern, soll der Art. 5.5 geben. Dabei handelt es sich ausschließlich um Nutzungsarten “comparable to the uses enumerated in art. 5.1 to 5.4(1)”. Ein generelles Recht der freien Benutzung kann m.E. aus den enumerativen Auflistungen der Art. 5.1ff. nicht herausgelesen werden. Daher kann der vorgeschlagene Artikel 5.5, der nur solche Benutzungsarten erlaubt, die den bereits in den Art. 5.1ff. enumerativ aufgelisteten ähneln, nicht als Generalklausel für ein allgemeines Recht zur freien Benutzung fungieren.

Merkwürdigerweise wird im vorgeschlagenen European Copyright Code ein Recht zur Parodie bzw. zur Karikatur in Art. 5.2, Abs. 1, lit. e ausdrücklich anerkannt, obwohl ein ebenso ausdrückliches Recht zur freien Benutzung eines Werkes dort nicht zu finden ist. Lediglich eine Fußnote zu dem Art. 4.1, der die Verwertungsrechte („Economic rights“) einleitet und u.a. „adaption of the work, in whole or in part“ aufzählt, stellt klar:

„The phrase ‘in whole or in part’ implies that the use of a part of a protected work constitutes a restricted act or, as the case may be, an infringement, if this part in and by itself qualifies for copyright protection.“3

Es soll also darauf ankommen, ob ein entnommener Werkteil, der einem neuen Werk zugrunde gelegt wird, urheberrechtlich geschützt ist. Der §24 UrhG legt hingegen fest, daß ein selbständiges Werk, das in freier Benutzung des Werkes eines anderen geschaffen worden ist, ohne Zustimmung des Urhebers des benutzten Werkes veröffentlicht und verwertet werden darf; die Frage, ob ein möglicherweise entlehnter Werkteil selbst urheberrechtlich geschützt ist, sollte dabei unerheblich sein.

Dieser Entwurf des Wittem Project für ein harmonisiertes Urheberrecht enthält zwar bestimmte Ausnahmeregelungen zugunsten der Allgemeinheit, erschwert aber die künstlerische Auseinandersetzung mit vorhandenen, urheberrechtlich geschützten Werken, indem die Übernahme von Teilen eines Werkes in ein neues Werk pauschal eine abhängige Bearbeitung darstellt. Sofern diese Verschärfung, die zumindest das deutsche Urheberrechtsgesetz treffen würde, an dieser Stelle nicht beabsichtigt ist, wird das Ziel, Richtlinien für ein transparentes und eindeutiges Urheberrecht zu entwickeln, hinsichtlich der Klärung, welche Formen der künstlerischen Auseinandersetzung mit geschützten Werken erlaubt sein sollen, verfehlt. Sollte das Fehlen eines Rechts zur freien Benutzung analog des §24 UrhG im Sinne der Autoren des European Copyright Code sein, erscheint unklar, aus welchem Grund die Karikatur oder die Parodie gegenüber anderen Benutzungen bzw. Bearbeitungen eines Werkes bevorzugt behandelt werden soll.

1 „European Copyright Code“, Lionel Bently, Thomas Dreier, Reto Hilty et al., April 2010, url: http://www.copyrightcode.eu/Wittem_European_copyright_code_21%20april%202010.pdf, S.7

2 ebd., S.9, Fußnote 2

3 ebd., S.16, Fußnote 39