Musik, Recht und mehr!

Vom Zitat zum Textbaustein: Wenn der Urheber in die Fußnote verbannt wird

Der deutsche Wissenschaftsbetrieb hat seit längerer Zeit ein Problem: Mangelnde Glaubwürdigkeit. Wer vor zehn Jahren öffentlich den Verdacht geäußert hätte, dass eine Reihe von Politikern – etwa ein Verteidigungsminister oder eine stellvertretende Präsidentin des Europaparlaments – ihren akademischen Grad mit einer zweifelhaften Promotionsleistung erworben haben könnte, der wäre vermutlich als Spinner abgetan worden. Die Zeiten haben sich aber geändert – das Plagiat ist nicht mehr außergewöhnlich. Aufhänger und Grund für die Aberkennung von Titeln ist stets der Umgang mit fremden Gedanken, kurz: eine fehlerhafte oder gar überhaupt fehlende Zitierweise.

Wozu dient aber überhaupt ein Zitat in einer wissenschaftlichen Arbeit?

Ein Zitat kann beispielsweise Daten belegen, historische Meinungen wiedergeben; mit einem Zitat kann auf bereits erzielte wissenschaftliche Ergebnisse verwiesen werden oder es kann als Ausgangspunkt für eine Diskussion dienen. Eines soll ein Zitat aber dennoch nicht sein: Ersatz für eine eigene wissenschaftliche Leistung. Zitate sind bloß die Hilfsmittel zur Darstellung einer wissenschaftlichen Erkenntnis. Dennoch kann aus einer Arbeit, die aus vielen Zitaten besteht, ein eigenständiges wissenschaftliches Werk entstehen. Ja, auch die bloße Darstellung verschiedener Meinungen ist eine wissenschaftliche Technik. Die Verwendung von Zitaten als solche – auch die exzessive! – begründet daher noch lange keinen Plagiatsverdacht. Alles in allem liegen aber genug Gründe vor, einmal einige Grundsätze der Zitierpraxis beispielhaft darzustellen; jedoch sei hier vorab die Warnung ausgesprochen, dass bei einem solch heiklen Thema, das einen Kernbereich der wissenschaftlichen Schreibpraxis ausmacht, in den Detailfragen jeder nur seine eigene Wahrheit vertritt…

Richtig zitiert? Welchem Beispiel sollte man folgen?

Zur besseren Erläuterung werden im folgenden einige Beispiele konstruiert. Wer die „Sterntagebücher“ von Stanislaw Lem tatsächlich für authentische Forschungsberichte des Weltraumpiloten Ijon Tichy hält, könnte aus der (hier fiktiven) Sekundärliteratur folgendes erfahren:

Beispiel a):

„In der letzten Zeit wurden Stimmen laut, die die Urheberschaft der Schriften Tichys in Zweifel ziehen“1, schreibt Professor Tarantoga vom Lehrstuhl für vergleichende Astrozoologie der Universität zu Formalhaut im Vorwort der Sterntagebücher.

1 Stanislaw Lem, „Sterntagebücher“, Suhrkamp, Frankfurt am Main, 2003, S. 8.

Beispiel b):

Es wären Professor Tarantoga zufolge in der letzten Zeit Stimmen laut geworden, die die Urheberschaft der Schriften Tichys in Zweifel zögen.1

1 Vgl. Stanislaw Lem, „Sterntagebücher“, Suhrkamp, Frankfurt am Main, 2003, S. 8.

Beispiel c):

Die Authentizität der Sterntagebücher wird zunehmend in Frage gestellt,1 aber Professor Tarantoga entkräftet eindrucksvoll all diese Zweifel2 und es ist ihm unumwunden zuzustimmen, dass es an der Zeit sei, „die Tätigkeit der Tichologen [...] nicht durch solche Gerüchte zu stören, die mit dem Ernst ihrer Aufgaben nicht in Einklang zu bringen sind.“3

1 Vgl. Stanislaw Lem, „Sterntagebücher“, Suhrkamp, Frankfurt am Main, 2003, S. 8.

2 Vgl. ebenda.

3 Ebd.

 

In Beispiel a) wird direkt aus dem Vorwort zitiert und dabei das Zitat mit Anführungszeichen kenntlich gemacht. Das ist völlig unproblematisch. Beispiel b) setzt den Wortlaut Tarantogas in indirekte Rede. Zu beanstanden wäre allerhöchstens, dass nicht völlig eindeutig hervorgeht, ob es sich hier tatsächlich um den Wortlaut handelt. Einem solchen Angriff könnte man allerdings ruhig und mit bestem akademischen Gewissen mit dem Argument der Haarspalterei begegnen. In Beispiel c) wird die Kernaussage kurz zusammengefasst, auf Tarantogas Ausführungen verwiesen, und der Satz mit einem direkten Zitat abgeschlossen. In allen drei Fällen sollte dem verständigen Leser klar werden, dass es sich um Zitate oder Zusammenfassungen von Meinungen handelt, auch wenn mancheiner die formale Darstellung der Literaturangaben oder die Verwendung von „vgl.“ und „ebd.“ möglicherweise gerne anders gehandhabt sehen möchte.

Keinesfalls aber sollte auf folgende Konstruktion zurückgegriffen werden:

Beispiel d):

Immer wieder werden Stimmen laut, die die Urheberschaft der Schriften Tichys in Zweifel ziehen, doch sollte man die Tätigkeit der Tichologen nicht durch solche Gerüchte stören, die mit dem Ernst ihrer Aufgaben nicht in Einklang zu bringen sind.1

1 Stanislaw Lem, „Sterntagebücher“, Suhrkamp, Frankfurt am Main, 2003, S. 8.

 

Warum sollte aber nun ausgerechnet diese Form des Zitats in einer wissenschaftlichen Arbeit fehl am Platze sein, wenn doch eine Fußnote mit Literaturangabe vorhanden ist? Nun, ja, hier ist zu einem großen Teil der Wortlaut eins zu eins übernommen worden. Es bedarf weiterer Nachforschung seitens des Lesers, den Grad der Übernahme überhaupt festzustellen. Vor allem aber wird ausschließlich durch die Fußnote ersichtlich, dass es sich um ein Zitat handelt – weder Anführungszeichen noch indirekte Rede weisen den Text als Zitat aus, und dabei handelt es sich beinahe um eine Komplettübernahme der Originalquelle! Der Urheber wird so aus dem Fließtext getilgt und nur der Blick in den Fußnotentext, der eigentlich für das Verständnis des Gesamttextes entbehrlich sein sollte, enthüllt die fremde Urheberschaft. Fremde Gedankengänge erscheinen als eigene und das Zitat wird zu einem bloßen Textbaustein mit Fußnote, in die der Urheberhinweis verbannt worden ist.

Das ist selbstverständlich ein konstruiertes Extrembeispiel, das alle Anforderungen an korrektes Zitieren vermissen lässt und es gibt sicherlich ein breites Spektrum an korrekten Möglichkeiten zu zitieren, bei denen der Urheber nicht im Fließtext genannt wird. Im Stile von Beispiel d) zu zitieren wäre schon verwerflich genug, geradezu unwissenschaftlich und urheberrechtlich bedenklich wird es aber immer dann, wenn viele oder fast ausschließlich solche Passagen im Stile des Beispiels d) in den eigenen Text übernommen werden, sei es aus Bequemlichkeit oder wissenschaftlicher Ungenauigkeit, denn dann wird am Ende eher eine Collage aus Textbausteinen entstehen als eine eigene wissenschaftliche Arbeit.